TERRA MINERALIA

  • S.18- 25
  • 4/2008

Umbau des Schlosses Freudenstein in Freiberg

Wie stabilisiert man morsche Umfassungswände aus der Renaissancezeit und wie schützt man wertvolles historisches Bibliotheksgut vor schädlichen Klima- und Lichteinflüssen? Die Architekten beantworteten diese Frage bei der Sanierung und der Umnutzung des Schlosses Freudenstein zum Sächsischen Bergarchiv und Mineralogischen Sammlung mit dem Haus-im-Haus- Motiv als ideale Lösung mehrerer Probleme. Das Schloss als städtische Dominante ist für die Stadt Freiberg prägend. Alle bisherigen Umnutzungen waren mit einer Wandlung des Schlossbildes verbunden. Dem historischen Nutzungszustand werden nun neue Funktionen eingeschrieben. Lediglich die Haupterschließung erfolgt im Schlosshof durch einen monolithartigen Baukörper. Die äußere Einheit der beiden Institutionen in der Schlosskubatur findet im Inneren ohne Einschränkung der funktionalen Eigenstrukturen statt. Bergarchiv mit Lesesaal und Ausstellung sind ebenso separat erreichbar, wie Mineraliensammlung, Cafe und Vortragssaal. Verknüpfungen werden im Inneren sichtbar und geben der gewählten Raumzuordnung aller öffentlichen Bereiche eine größtmögliche Varianz. Bergarchiv und Mineralogische Sammlung reagieren auf unterschiedliche Weisen auf den Bestand. Sinnbild ist dabei die Rezeption der Tätigkeitsfelder. Geht das Archiv von der Funktion des Schützens aus, so stellt sich das Museum einer breiten Öffentlichkeit. In ihrer Unterschiedlichkeit ergänzen sich beide zu einem spannungsvollen Ganzen.


Gemeinsames Geschichtsverständnis

Mit dem Anspruch für ein Archiv und eine Sammlung in einem Schloss zeitgemäße Nutzungsbedingungen zuschaffen, stand die architektonische Arbeit vor einer großen Herausforderung. An erster Stelle sollte die Vermittlung zwischen den Zeugen der unterschiedlichen Bauepochen und den verschiedenartigen Nutzern erfolgen. Ein Grundstein des Erfolges einem „vergessenen“ Schloss wieder ein Gesicht zu geben, war die offene Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege. In der Begleitung des Projektes wurde in offenen Disputen ein Abwägungsprozess zur Bewahrung bauhistorischer Befunde und zur Geburt neuer räumlicher Qualitäten kultiviert. Nach der Festlegung bestimmen- der Grundlagen, wie der Rückführung zweier Gebäudeflügel in die Renaissancezeit, dem Erhalt der Speicherfassaden für das Lange Haus und den Kirchenflügel, die Rekonstruktion von Sachsens ersten doppelläufigen Treppenhauses aus dem 16, Jahrhundert und dem Erhalt prägender Elemente der Speichernutzungszeit wurde die Entwurfsarbeit auf die Ausbildung der neuen Ergänzungen konzentriert. Die zentrale Gestaltungsaufgabe bestand darin, das Schloss Freudenstein trotzdem als einheitliches Ganzes darzustellen. Somit entstand aus dem gemeinsam entwickelten Geschichtsverständnis ein neues Zentrum für die Stadt Freiberg, welches selbstbewusst an die kulturellen Errungenschaften des Wettiner Königshauses anknüpfen kann. Die Besucher können heute ebenso in einer neuen Repräsentanz wandeln, wie in den bewährten Spuren der Baugeschichte die Umnutzungen ablesen. Die Umsetzung der 2000 Quadratmeter Archivfläche für Europas vollständigste Sammlung montaner Schriften in dem kurzen geforderten Zeitfenster von knapp drei Jahren, für Planungs- und Bauzeit, verlangte von allen Beteiligten mehr als man aus üblichen Projekten kannte. Bereits in der Konzeptphase wurde die Basis der Zusammenarbeit über das Prinzip der Teamarbeit aus Statikern und Haustechnikern sichergestellt. Im Wettbewerb war noch für die Umsetzung der Archivansprüche die Entkernung eines Schlossflügels vorgesehen. In den Varianten zur Ausführung wurde gemeinsam mit den Statikern die Idee von zwei Rückbauphasen entwickelt. Eine aufwendige Absicherung der Außenwände konnte damit entfallen.


Dem Kirchenflügel wurde so ein neuer Baukörper aus anthrazit eingefärbtem Beton eingeschrieben, der mit seinem Achtungsabstand zur Bestandsfassade die Funktion einer Arche einnimmt. Über die statischen Verankerungen in den alten Speicherfenstern trägt der skulpturale Körper seine neue Präsenz mit dem Motiv von so genannten „Hutzen“ als Betonfertigteile nach außen. Mit einer einheitlichen Scharrierung der Betonoberfläche wurden die Spuren der knappen Bauzeit egalisiert und gleichzeitig eine neue Oberfläche zur Architektursprache eingefügt. Dabei ist die Wahl der Bearbeitung der Betonhülle ein bewusstes Zitat zur bergmännischen Arbeit sich unter die Oberfläche graben zu wollen und nach dem Verborgenem zu suchen. Die Fähigkeit der unterschiedlichsten Erscheinungsform des Betons und der nicht vorhandenen ästhetischen Vorbehalte gegenüber der einen oder anderen Form, ist eine Eigenschaft die uns bei der Arbeit, dem Bauen im Bestand, nutzte. Prof. Arthur Ruegg sagte einmal: „Hinsichtlich des zu erreichenden architektonischen Ausdrucks ist das Material Beton selbst weder positiv noch negativ codierbar, es ist unschuldig.“ Diese Unschuld und der damit verbundenen konkurrenzfreien Ablesbarkeit des Neuen und des Alten, gibt dem Ganzen seine Teile - die Teile zum Ganzen. Der Kontrast von thematisch gestalteten Betonoberflächen (scharriert/strukturiert/glatt) gegenüber sorgfältig aufgearbeiteter historischer Substanz thematisiert die konzeptionelle und gestalterische Herangehensweise. Durch Materialproben zur Einfärbung und Zuschlagstoffe, konnte eine Komposition gewählt werden, die der Scharrur einen besonderen optischen Eindruck verleiht. Die anthrazit eingefärbte Zementmatrix umschließt die freigelegten und gebrochenen hell glitzernden Quarzsteine. Durch die homogene raue Oberfläche des Betonkörpers wird ein bewusster Kontrast zu den weißen Oberflächen der historischen Außenwand hergestellt. Der schützende und klimatisierte Archivkörper ist nicht nur Speicher des Wissens. Mit der statischen Kompression die hohen Lasten an ausgewählten Kern- bereichen abzutragen, wird der Architektur die Freiheit gegeben neue Räume zu schaffen. Der Lesesaal mit Ausgabe und Informationstresen und ein Präsentationsfoyers mit der Dauerausstellung bedeutender Sammlungstücke finden somit unter dem Wissensspeicher ihren Platz. Durch das scheinbare „Aufwölben“ des Archivkörpers und der gleichen Ansicht von Decke und Wand wird ein erhabener und imposanter Raumeindruck erzeugt, der an die einprägsame Begehung eines Bergwerksstollen erinnert. Die bewusste Zurückhaltung in der Ausstattung mit schlichten weißen Möbeln soll ein angenehmes und ungestörtes Arbeiten und Ausstellen unterstützten. Im Gegensatz dazu stehen drei prägnante Einschlüsse neuer Räume. Mit dem grünem Atrium der Verwaltung, dem selben Nutzerkern des Archivkörpers und dem purpurnen Eingangsgebäude entstehen neue Verknüpfungen im Bestand. Sie nehmen genauso prägnanten Bezug auf die verlorene Pracht der Renaissanceräume wie auf die Entdeckungslust eines Bergmanns unter Tage.


Statik trifft alt und neu

Die Konstruktion des neuen Archivkörpers setzt sich aus zwei Stahlbetonkernen „Füßen“ zusammen. die in einem Abstand von zirka 13 Metern geordnet wurden und im Erdgeschoss über eine Höhe von 5 Metern verfügen. Die Keine übernehmen die Erschließung des Archivgebäudes durch die Versorgungsmedien und Aufzüge sowie den größten Anteil der Stabilisierungslast (aus Wind und Schiefstellung) und Vertikallast (Eigengewicht der Konstruktion und Nutzlast). Die Anordnung der Kerne wurde unter Berücksichtung der historisch wertvollen Bausubstanz aus dem 13. bis 16. Jahrhundert im Bereich des Kellergewölbes geplant. Aufgrund der extrem hohen Belastung aus der Archinutzung mussten acht Stahlbetonstützen in Einklang mit den Außenwänden vorgesehen werden, die eine maximale Belastung bei Volllast von rund 340 Tonnen abzutragen haben. Um die Eingriffe an der historisch wertvollen Bausubstanz im Keller zu begrenzen, wurden auf Niveau des Erdgeschossfußbodens Lastverteilungsbalken geplant, die die auftretenden Vertikallasten in das Gneismauerwerk, welches in 12 Meter Tiefe auf Fels gegründet ist, eintragen. Darüber hinaus wurden im in homogenen Bestandsmauerwerk Kleinbohrpfähle eingetrieben, die Gebäudelasten bis zur tragfähigen Felsschicbt transportieren. Die horizontale Anbindung, der historischen Mauerwerksfassade erfolgt über die so genannten Hutzen, die die Verbindung zur neuen Stahlbetonkonstruktion darstellen. Die auf die Bestandsfassade auftretenden Windlasten werden so über die in den Fensternischen aufsitzenden Hutzen in die Neubaukonstruktion weitergeleitet. Um das Tragverhalten des Bestandsmauerwerks zu verbessern, erhielt es die Auflast aus der neuen freitragenden Dachkonstruktion.

Somit stellt sich das Schloss heute erstmalig in seiner langen Leidensgeschichte der Umnutzungen in vollem Umfang den öffentlichen Nutzungen zur Verfügung. Mit seinen zukünftigen Funktionen wie Mineralogischer Sammlung, Sächsischem Bergarchiv mit Lesesaal und ständiger Ausstellung, Gastronomischer Nutzung und einem offenen einmaligen Platz als Bühne städtischen Open- Air-Lebens soll es für Freiberg ein Hort der Kultur sein, Vom Entwurfskonzept bis zur Umsetzung der Details, von den Ansprüchen der Nutzer, den technischen Erfordernissen und von den Bruchstücken der unterschiedlichen Bauepochen haben AFF architekten den Anspruch vertreten, aus den Teilen ein Ganzes werden zu lassen und hoffen mit dem Umbau dem Schloss als Bauwerk und den neuen Schlossherrn als Nutzer ein Stück Baukultur übergeben zuhaben. Das Projekt erhielt beim diesjährigen Architekturpreis Beton eine Lobende Erwähnung.